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Lean Management und ERP - kann das zusammen funktionieren?

ERP-Anwendungen sind aus den meisten Unternehmen nicht mehr wegzudenken. Gleichzeitig stellt die produzierende Industrie auf eine schlanke Produktion um. Doch in der Fertigung scheinen ERP und Lean Management zu kollidieren.

Dieser Artikel erklärt, warum der vermeintliche Widerspruch keiner ist und wie die beiden Ansätze sogar Synergien entwickeln können.

 

 

 

Was ist Lean Management?

Lean Management geht auf eine Reihe von Empfehlungen zurück, die von Taiichi Ohno im Jahr 1947 bei Toyota entwickelt wurden.

Die Methode wird auch mit den Begriffen Kaizen, Kanban und Toyota Systemhaus verbunden.

Verkürzt gesagt geht es bei Kanban darum, jede Art von Verschwendung zu vermeiden und dadurch die Geschäfts- und Produktionsprozesse kostenoptimiert zu steuern. Just-in-Time-Produktion ist ein wichtiges Ziel von Kanban. Denn jede Bevorratung, jede Überproduktion, jede Minute, die eine Ware vor dem vereinbarten Termin beim Kunden ist, gilt als Verschwendung („Muda“).

Kaizen schreibt zudem die kontinuierliche Verbesserung der Prozesse vor. Permanente Beobachtung und Messung identifiziert Schwachstellen, die dann evolutionär, also in vielen Iterationen, nach und nach ausgemerzt werden. Agile Methoden, Scrum, DevOps – sie alle basieren im Kern auf Kaizen.

Lean Production oder schlanke Produktion bedeutet nichts anderes als die Anwendung der Lean-Prinzipien auf die Fertigung.

Die Theorie: Vermeintliche Widersprüche

Häufig wird behauptet, dass ERP-Anwendungen und Lean Management einander widersprechen. Dafür werden unterschiedliche Gründe angeführt.

Verschwendung

Schlanke Produktion trachtet danach, alles Überflüssige zu vermeiden. Als überflüssig gilt, was nicht unmittelbar der Wertschöpfung dient.

Wenn Mitarbeiter in der Fertigung jedoch ihre Arbeit unterbrechen müssen, um Daten in ein ERP-System einzugeben, widerspricht dies dem Grundprinzip, dass Verschwendung unbedingt zu vermeiden sei. Gegner eines Lean+ERP-Systems argumentieren, dass die Prozesse nur entweder an dem einen oder dem anderen Konzept ausgerichtet sein können, aber nie an beiden.

ERP-Systeme gelten als starr

Lean Manager halten ERP-Lösungen für starr und unflexibel. Lean-Unternehmen betrachten ERP-Anwendungen als störenden Ballast. Die Verwaltung soll den Vorgang erst dann im System erfassen, wenn die Fertigung abgeschlossen ist.

Das widerspricht natürlich dem Anspruch von ERP-Lösungen, das Unternehmen umfassend abzubilden. Wenn ein so wichtiger Bereich wie die Fertigung nur unzureichend erfasst wird, leiden darunter die Datenqualität und die Fähigkeit, Auswertungen für die Unternehmenssteuerung bereitzustellen. Das ERP-System kann sein Potenzial nur dann entfalten, wenn es eine solide Datenbasis quer durch alle Unternehmensprozesse hat.

Push-Prinzip gegen Pull-Prinzip

Ein ERP-System sammelt, integriert und vernetzt Informationen zu einer konsistenten, unternehmensweiten Datenbasis. Es würde daher zum Beispiel Bestellprozesse und Fertigung anhand des Sales Forecast organisieren und planen – ein klassisches Beispiel für das Push-Prinzip.

Dagegen arbeitet Lean Management nach dem Pull-Prinzip. Kanban strebt danach, die Vorratshaltung zu minimieren, indem Material erst bestellt wird, wenn es tatsächlich erforderlich ist. Ein Projekterfolg wird ebenfalls an den Errungenschaften vor Ort gemessen („Genchi Genbutsu“) und nicht anhand von Informationen aus ERP-Anwendungen.

Kurz und gut: Lean Management wird vom tatsächlichen Bedarf getrieben, ERP-Anwendungen hingegen von Bedarfsprognosen.

Die Praxis – Mehr Synergien als Konflikte

In der betrieblichen Realität entpuppt sich die vermeintliche Unvereinbarkeit von ERP-Lösungen und Lean Management als Legende.

Tatsächlich können beide Ansätze voneinander profitieren.

ERP vermeidet Verschwendung

Es ist zum Beispiel eine irrige Annahme, dass ERP-Anwendungen lediglich neue Prozess-Schritte hinzufügen. Das Gegenteil ist der Fall: Beim Einführen einer ERP-Lösung kommen alle Prozesse auf den Prüfstand. Dabei werden als Erstes überflüssige Schritte eliminiert, anschließend Umwege begradigt und schließlich alle standardisierbaren Aktivitäten so weit wie möglich automatisiert.

Das betrifft nicht nur Prozesse in der Verwaltung, sondern auch in der Fertigung. Durch IoT ist es heute nicht mehr unbedingt nötig, dass Menschen ihre Arbeit unterbrechen, um Fertigungsdaten im ERP-System zu erfassen. Das können Maschinen, Werkstücke, ja sogar Lagerbestände heute selbst übernehmen – Sensoren und RFID-Chips sei Dank.

Auf diese Weise wird die ERP-Lösung zum Erfüllungsgehilfen der Lean Production. Sie eliminiert überflüssige Aktivitäten, Bewegungen, Vorräte, Transporte und Wartezeiten. Das ist Kanban in Reinkultur.

ERP vermeidet Fehler

Auch in der Fehlervermeidung vertragen sich Lean- und ERP-System bestens. Fehlervermeidung ist ein besonderes Anliegen von Lean Management, weil Fehler immer auch einen vermeidbaren Aufwand – und somit Verschwendung – bedeuten. Nach der Lean-Philosophie sollen Abläufe so gestaltet werden, dass Fehler gar nicht mehr auftreten.

ERP-Anwendungen leisten hierzu einen wichtigen Beitrag, geben sie doch die Möglichkeit, Plausibilitätsprüfungen und Anwendungshilfen einzubauen.

ERP vermeidet Zeitaufwand und überflüssige Wege

In einem ERP-System finden Anwender benötigte Informationen viel schneller als in herkömmlichen Archiven und Bürostrukturen. Da Informationen mit den zugehörigen Vorgängen vernetzt und auswertbar sind, müssen Mitarbeiter keine Excel-Tabellen zusammenführen oder Kollegen konsultieren, um das Gesamtbild zu sehen und kompetente Entscheidungen zu treffen.

Sie müssen weder eine andere Abteilung aufsuchen noch zum Aktenschrank gehen. Überflüssiger Suchaufwand und Wege entfallen.

Koexistenz von Lean Management und ERP-Anwendungen

Vielerorts haben Lean Manager Wege gefunden, um ERP und schlanke Produktion zu kombinieren.

Manche Unternehmen etablieren ein System, in dem die ERP-Lösung die ein- und ausgehenden Prozesse regiert, während innerhalb der Fabrik schlanke Produktion praktiziert wird.

Das bedeutet, dass Kunden- und Lieferantenprozesse in der ERP-Lösung erfasst und verarbeitet werden, während in der Fertigung alle Prozesse zeit- und kostenoptimiert nach Kanban und Kaizen ablaufen. ERP in der Verwaltung, Lean in der Fertigung, so können beide Konzepte koexistieren, ohne zu kollidieren.

Sinnvoll ist dieser Ansatz zum Beispiel in einer One-Piece-Flow-Produktion, bei der ein Mitarbeiter ein Werkstück vom Anfang bis zum Ende der Fertigung begleitet. Jedes Stück durchläuft die Produktion ohne Zwischenlagerung. Das vermeidet Reibungsverluste und macht ERP weitgehend überflüssig.

Bei der gebräuchlicheren Losgrößenfertigung müssen dagegen mehrere Abteilungen, Personen, Mengen und Buchungsprozesse koordiniert werden. Hier kann wiederum die ERP-Lösung ihre Stärken ausspielen.

Ein Gesamtkonzept aus Lean + ERP entwickeln

Sebastian Appenzeller, Armbruster GmbH, und Jürgen Köbler, Hochschule Offenburg, verbinden die Prinzipien von Lean Management und ERP-Lösungen zu einem LEAN-ERP-System. Dieser Ansatz wird sinnbildlich als Haus vergegenwärtigt.

  • Die Wünsche und der Bedarf des Kunden sind das Dach, auf welches das ganze Gebäude zustrebt.
  • Die kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse ist das Fundament.
  • Die Adaption der Lean-Prinzipien auf den ERP-Bereich ist die eine tragende Säule.
  • Die Ausrichtung der ERP-Lösungen an den Lean-Prinzipien ist die andere tragende Säule.

In dieser Konstruktion ergänzen sich Lean Management und ERP-Lösung gegenseitig: Die Kundenwünsche stellen den Soll-Zustand dar. Durch Beobachtung im Feld wird der Ist-Zustand ermittelt. Mithilfe der ERP-Lösung werden Schwachstellen analysiert. Ein neuer Prozessablauf bzw. Zielzustand wird skizziert. Anschließend wird in vielen Iterationen auf die Erreichung des Ziels hingearbeitet.

Appenzeller und Köbler testeten dieses Konzept bei einer ERP-Einführung in einem Zerspanungsunternehmen mit großem Erfolg. Die Einführung ging schneller und wirtschaftlicher als bei vergleichbaren Projekten vonstatten und das Tagesgeschäft wurde kaum beeinflusst.

Es spricht also alles dafür, dass Lean Management und ERP-Anwendungen gerade durch ihre Synergien den größten Mehrwert erbringen.

 

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